Kostenlose Geschichten: Jokk! (Einfach nur weg)

„Steig ein!“

„Aber wir haben Schule. Abitur und so …“, obwohl ich Dringlichkeit in meine Worte gelegt hatte, klangen sie selbst in meinen Ohren nicht überzeugend. Jasper beugte sich zur Beifahrertür und zog den Öffner hoch. Ich nahm meinen Rucksack und feuerte ihn durch das offene Fenster des alten Polo. Anschließend stieg ich ein und Jasper grüßte mich mit einem freudigen: „Jokk!“

Wir benutzten dieses Wort damals ständig und bauten es auf unterschiedlichste Weise in fast jeden unserer Sätze ein. Dabei kamen lustige Sachen zustande. Und da jokk das einzige Wort war, das so gut wie alles bedeuten konnte, war damit oft schon alles gesagt …

Wir fuhren ein Stück die Straße herunter, Jasper bog in eine kleine Seitengasse, die zu einem steinigen Waldweg wurde. Sie führte zu einem abgelegenen Parkplatz. Dort hielten wir und er suchte etwas in einem großen Wanderrucksack. Überall im Auto lag sein Kram verteilt; Duschgel, Decken, Schuhe und ganz hinten etwas, das aussah wie ein altes Fotoalbum.

„Was hast du vor?“, fragte ich.

Es kam keine Antwort. Stattdessen zog er zwei kleine schwarze Metallkästchen aus dem Rucksack, beide etwa in der Größe eines halben Schuhkartons. Er steckte das Anschlusskabel des ersten Kästchen in das zweite und dieses dann ebenfalls mit einem Kabel in den Zigarettenanzünder. Nach einer Weile piepste das erste Kästchen und nachdem Jasper auf einen Knopf gedrückt hatte, begann eine kleine Düse aus der Front dichten weißen Nebel zu versprühen. Er richtete den Strahl in den Fußraum und ich sah zu, wie er sich langsam füllte. Zuerst versanken die Beine, dann der ganze Körper und schließlich auch der Kopf unter einer dichten dampfenden Schicht. Die Sonne ließ alles um mich herum erstrahlen und ich wurde etwas unruhig … Es war seltsam. Alles war zum Greifen nahe, dennoch fühlte ich mich verloren, da mich nichts als Ungewissheit umgab.

„So fühle ich mich mein ganzes Leben schon …“, hörte ich Jaspers Stimme sagen. Dann tippte er mich von der Seite an und reichte mir einen Joint. Ich nahm ein paar Züge und speicherte sie tief in meiner Lunge, so als könnte der Rauch ein Teil von mir werden.

„Wenn du dein Abi machst …“, sagte Jasper, fast, als habe er nun andere Pläne. „Dann musst du unbedingt studieren. Du musst Germanistik studieren, hörst du! Und wenn du dann irgendwann Sprachwissenschaftler bist, dann sorgst du gefälligst dafür, dass diese Nichtskönner das Wort Jokk in den Duden aufnehmen! Da soll dann stehen: Jokk; Wortart: Jede. Bedeutung: Finde es selbst heraus!“

Ich nahm noch einen tiefen Zug und ließ meinen Kopf in die Kopfstütze sinken. „Das einzige deutsche Wort, das wirklich frei sein kann!“

Ich hörte, wie er eine Kassette in das Radio drückte und anschließend eine traurige Bassgitarre den altbekannten Riff anstimmte, dann sang die wehmütige Stimme von Van Morrison: It’s all over now, Baby blue.

Ich schloss die Augen und während ich von dem Joint schon ein bisschen jokk wurde, dachte ich darüber nach, was für eine geniale Idee das war. Jokk könnte die Welt verändern! Im verflixten siebten Jahr einer Beziehung zum Beispiel, wenn sie verunsichert fragt: Schatz, findest du, ich bin dick geworden?

Dann sagte er einfach: Jokk.

Damit wäre alles klar und sie versteht, was auch immer sie verstehen will. Andersherum funktioniert es natürlich auch: Und? War der Sex für dich genauso so gut wie für mich?

Jokk!

Je länger ich darüber nachdachte, desto unumgänglicher erschien mir auch eine Reformation des deutschen Rechtssystems. Schließlich müsste neben dem Schuld- und dem Freispruch noch ein weiterer Spruch eingeführt werden …

Ich öffnete die Augen und sah, wie Jaspers Mundwinkel unentschlossen in verschiedene Richtungen zuckten. Energisch zupfte er die Luftgitarre zum nächsten Song. Der Nebel hatte sich verzogen und die Sonne strahlte durch die vergilbte Frontscheibe auf sein langes fettiges Haar.

„Bist du okay?“, fragte ich.

Er grinste, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen und wir umarmten uns. Es fühlte sich nach Abschied an.


Kostenlose Geschichten, Titel: Jokk! (Einfach nur weg), Autor: Dustin Patten